Vorweg haben wir uns die Frage gestellt, was dieses Konzept für uns eigentlich so interessant macht, mal abgesehen davon, dass wir immer Lust haben, uns mit anderen SystemikerInnen zu vernetzen, von ihren „Projekten“ zu erfahren und in den Austausch zu kommen. 

Immer wieder geht es auch um Haltung… um unsere persönliche und auch um unsere Haltung in unserer systemischen Arbeit. Sehr schön wird das auch wieder in unserem Gespräch in dieser Folge deutlich. 

Es ist der ganzheitliche Ansatz in der Multifamilienarbeit, in welcher versucht wird, ganz im Sinne unserer systemischen Haltung mit Eltern, Kindern und weiteren Bezugspersonen in einem gemeinsamen Setting zu arbeiten. Und das nicht nur „isoliert“ im Kontext mit einer einzelnen Familie, sondern in einem Gruppensetting von mehreren Familien mit Kindern.  Spannend für unsere systemische Arbeit ist, dass sich das Konzept der Multifamilienarbeit im Schulkontext etablieren lässt, aber auch auf andere Kontexte, beispielsweise in der Therapie oder in sozialpädagogische Arbeitsfelder, wie die Jugendhilfe, übertragen lässt.

In dieser Folge sprechen wir mit Inga darüber, welche Erfahrungen sie in der Arbeit mit Multifamilienklassen macht und wie sie das Konzept der Multifamilientherapie erlebt. 

Inga ist Förderschullehrerin an einer Schule mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung in Braunschweig. Sie selbst ist zusätzlich ausgebildete systemische Beraterin und Multifamilientrainerin. Sie unterscheidet zwischen der Arbeit in Multifamilienklassen und der Multifamilientherapie und betont, dass sie in ihrem schulischen Kontext nicht im klassischen Sinne therapeutisch arbeitet.

Inga berichtet darüber, dass die häufigsten Herausforderungen im schulischen Alltag darin bestehen, dass die Schülerinnen und Schüler, die ihre Schule besuchen, meist „ganz andere emotionale und soziale Themen beschäftigen und eine Teilnahme am Unterricht, wie es das Regelschulsystem vorsieht, nicht umzusetzen ist“. 

Seit Jahren gehöre es daher zum schulischen Konzept, Eltern und bei Bedarf auch andere Familienangehörige in die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen aktiv mit einzubeziehen. Es gehe dabei darum, soziale Interaktionen zwischen den Kindern und Eltern zu fördern, die Eltern teilhaben zu lassen am schulischen Geschehen und die Beziehungen sowohl zwischen den SchülerInnen und Ihren Eltern, als auch zwischen LehrerInnen und Eltern zu festigen.

Das Besondere in der Multifamilienarbeit sei außerdem, dass Kinder und Jugendliche gemeinsam mit ihren Eltern in einem professionell angeleiteten Gruppensetting mit anderen Elternteilen über Ihre familiären und erzieherischen Herausforderungen im Austausch sein und gegenseitig von ihren Erfahrungen profitieren können. Chancen bieten sich insofern, als dass sich Eltern in solch einem Setting als selbstwirksame ExpertInnen ihrer familiären Situation erleben können. Konkurrenz unter den Erwachsenen erleben die FamilientrainerInnen selten. Im Gegenteil, es entstehe häufig eine sich gegenseitig unterstützende Gemeinschaft.

Und für wen ist denn die Familienklasse geeignet und wer kann da mitmachen? 

Grundsätzlich können laut Inga alle SchülerInnen der Schule mit ihren Eltern an der Familienklasse teilnehmen. Der zeitliche Rahmen umfasst zehn gemeinsame Termine, in regelmäßigen Abständen. Zwei FamilientrainerInnen begleiten die Familien im Tandem und bieten Austausch auf niedrigschwelliger Basis im Rahmen von gemeinsamen Spielen, aber auch Gesprächssettings und Konfliktmoderation an. 

Zum Ende unseres Gesprächs beschreibt Inga eine Vision, in der sie sich wünschen würde, dass Multifamilienklassen in allen Schulformen als grundsätzliches und regelmäßiges Angebot einen festen Bestandteil der Arbeit mit Familien ausmachen können.

Und was steht für uns am Ende des Gesprächs? Vielleicht ist „steht“ nicht die passende Begrifflichkeit, denn das, was zumindest für uns daraus entstanden ist, ist weitere Neugier und der Wunsch „in Bewegung“ zu kommen und Multifamilienarbeit in unseren systemisch therapeutischen und beraterischen Settings als Optionen zukünftig mitdenken zu wollen. 

Und natürlich geht ein ganz lieber Dank an Inga für das Teilen der spannenden Inhalte zum Thema. 

Wir freuen uns, wenn Ihr mal in die Folge reinschaltet!

Bis bald, Ben und Tina

PS: Wer sich intensiver mit dem Thema befassen möchte… hier kommen noch ein paar nützliche Links und Literaturempfehlungen:

Bundesarbeitsgemeinschaft Multifamilientherapie:

Literaturempfehlungen:

  • Handbuch Multifamilientherapie,  Eia Asen, Michael Scholz (Hrsg.), 2017, Carl Auer Verlag.
  • Praxis der Multifamilientherapie, Eia Asen, Michael Scholz (Hrsg.), 2019, Carl Auer Verlag.
  • Die Familienklasse, Neil Dawson, Brenda McHugh, Eia Asen, 2019, Modernes lernen.

Podcastempfehlung:

https://www.carl-auer.de/magazin/sounds-of-science/ulrike-behme-matthiessen-markus-fohl-stephanie-glabl-heidjer-schwegmann-mft-in-europa